Donnerstag, 20. November 2014

Lieber Fritz,

glaubst du mir das? Ich habe das Schreiben verlernt. Du erinnerst dich bestimmt noch an die Gedichte, die ich einst schrieb. Die Reime, die kalligraphisch schön die Sinne der Musen stahlen. Kein einziges Wort kriege ich mehr zustande. Nichts mag meiner Feder entrinnen, was nur im Kleinsten an den Geist von damals erinnert. Es mag sein, dass man die Talente der Jugend verändert durch Weisheit und Perfektion. Aber wer, lieber Fritz, verlernt denn etwas, was er einst so gut beherrschte? Es ist fast so, als wache man morgens auf und habe das Sprechen verlernt. Einfach so und nichts und niemand kann dir die Worte wieder in den Mund legen, weil nichts und niemand weiß, wie deine Worte klingen sollen. Mir war alles so gleich; Geld, Macht, Beliebtheit, Träume waren Schäume. Ich wollte bloß immer schreiben. Vielleicht ist es genau das. Vielleicht habe ich nicht das Talent, sondern den Willen dazu verloren.
Es ist unbegreiflich wie manche Minuten vergehen wie Jahre und manche Jahre in Sekunden vorbei sind. Es ist erstaunlich wie Talente kommen und gehen und wie der Sand der Zeit die Tinte des Gedichts mit seinen kleinen Körnern vom Papier kratzt. Langsam aber sicher verblasst mein Nachlass an die Welt und nichts und niemand wird sich je an mich erinnern. Es fehlt mir an allem,wenn ich nicht schreiben kann. Ich fühle kein Glück, keine Ruhe und keine Liebe. Die Worte, die mir durch die Finger rinnen sind jene, die mir die Liebe erklärten. Sag, lieber Fritz, kann man die Liebe ohne Worte beschreiben? Man kann sie fühlen und erkennen, aber man kann sie nicht beschreiben. Was ich früher konnte, in endlos langen Sätzen meine Liebe zu beschreiben, vermag ich heute nicht mehr zu tun. Nicht mal ein einziges Wort mag mir entfliehen. Es ist beinahe so, als wäre ich arm und habe keinen Cent mehr, um mir Brot zu kaufen. Früher hatte ich Geld im Überfluss und war immer satt. Nun, da die Zeit und das Talent vergangen sind, verhungere ich elend und allein.
Lieber Fritz, ich schließe diesen Brief in der Hoffnung darauf, dass mein Hunger bald gestillt sein möge.
S.e.d.S.